Thema:

Kolumne IT-Sicher­heit: Vorratsdatenspeicherung

Was nutzt der Oma das voll­ge­stopfte Haus?

Vor­räte sind ja was Gutes – zumin­des­tens hor­tete meine Oma, die den zwei­ten Welt­krieg über­lebt hatte, in einer platz­in­ten­si­ven Weise tonnen‑, qua­drat­me­ter- und schrän­ke­weise Vor­räte aller Art: Lebens­mit­tel natür­lich, aber auch Dinge wie Stoffe, Strick­garn, Hand­tü­cher, Bett­wä­sche, nicht mehr zu tra­gende Beklei­dung, Seife, Ker­zen und jede Menge ande­res Zeugs, was man unbe­dingt braucht, falls es mal wie­der schlechte Zei­ten gibt.
Als mein damals frisch ange­trau­ter Mann vor vie­len Jah­ren das erste Mal einen Blick in den Kel­ler mei­ner Oma warf, rief er spon­tan aus – „Der Krieg kann kommen.“
Das Ver­wal­ten der Vor­räte erfor­derte aller­dings einen gewis­sen Auf­wand. Der Vor­rat war sehr platz­in­ten­siv und unüber­sicht­lich. Man wusste nie genau, was man jetzt eigent­lich hatte und was man noch kau­fen musste und ob die Vor­räte über­haupt noch nutz­bar waren. Außer­dem waren sie irgend­wann über­holt. Das Min­dest­halt­bar­keits­da­tum der Lebens­mit­tel abge­lau­fen, das Mus­ter der Hand­tü­cher und der Bett­wä­sche völ­lig out, das Wachs der Ker­zen auf dem hei­ßen Spei­cher irgend­wann zerlaufen.
So viel erst mal zur Oma.

Nun höre ich doch letzte Woche, dass die viel dis­ku­tierte und von vie­len ver­hasste Vor­rats­da­ten­spei­che­rung wie­der im Gespräch ist. Als Anlass dazu wer­den die Anschläge in Paris vor­ge­scho­ben. Anders als „vor­ge­scho­ben“ kann man das näm­lich wirk­lich nicht nen­nen, denn wie man der Presse ent­neh­men konnte, gibt es im Gegen­satz zu Deutsch­land in Frank­reich die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung noch und wie jeder weiß, haben die Anschläge auf die Redak­tion des Sati­re­ma­ga­zins Char­lie Hebdo trotz­dem statt­ge­fun­den. Zwei der Ver­däch­ti­gen wur­den laut Pres­se­be­rich­ten schon län­ger über­wacht und stan­den sogar auf der No-Fly-Liste der USA. So viel zu dem von Befür­wor­tern viel zitier­ten Tod­schlag­ar­gu­ment „Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ver­hü­tet Straf­ta­ten und erzeugt Sicherheit.“

Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang der Bericht des Max-Planck-Insti­tuts für aus­län­di­sches und inter­na­tio­na­les Straf­recht, das in sei­nem Bericht „Schutz­lü­cken durch Weg­fall der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung? Eine Unter­su­chung zu Pro­ble­men der Gefah­ren­ab­wehr und Straf­ver­fol­gung bei Feh­len gespei­cher­ter Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­kehrs­da­ten“ in der 2., erwei­ter­ten Fas­sung vom Juli 2011 im Teil „H. Schluss­fol­ge­run­gen“ schreibt:
„1.8. Hinzu tritt der Ver­weis auf die von isla­mis­ti­schen Ter­ro­ris­ten aus­ge­hen­den beson­de­ren Gefah­ren. Gerade hier lie­gen im Übri­gen kei­ner­lei Hin­weise dafür vor, dass auf Vor­rat gespei­cherte Ver­kehrs­da­ten in den letz­ten Jah­ren zur Ver­hin­de­rung eines Ter­ror­s­an­schlags geführt hät­ten. Ver­kehrs­da­ten waren viel­leicht dazu geeig­net, Ermitt­lun­gen nach Ter­ror­an­schlä­gen in Tei­len zu beför­dern; sie haben aber allen­falls zu der Frage geführt, warum bereits vor­lie­gende und bekannte digi­tale Spu­ren der Tele­kom­mu­ni­ka­tion nicht für eine Ver­hin­de­rung von Anschlä­gen haben ein­ge­setzt wer­den können.“
und wei­ter in
„2.10. Die delikts­spe­zi­fi­schen Auf­klä­rungs­quo­ten in den Berei­chen der Com­pu­ter­kri­mi­na­li­tät sowie der so genann­ten Inter­net­kri­mi­na­li­tät geben eben­falls keine Hin­weise dafür her, dass durch die Phase der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung Ver­än­de­run­gen in der Ten­denz der Auf­klä­rungs­ra­ten ein­ge­tre­ten wären.“

Klingt eben­falls so, als wäre Vor­rats­da­ten­spei­che­rung sinn­los und ein Schuss in den Ofen.

In Deutsch­land gibt es der­zeit gott­sei­dank keine Vor­rats­da­ten­spei­che­rung. Ver­bin­dungs­da­ten der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ter müs­sen unver­züg­lich gelöscht wer­den. Die­nen Sie Abrech­nungs­zwe­cken, dür­fen die Daten, aber auch tat­säch­lich nur die, die den Abrech­nungs­zwe­cken die­nen, sie­ben Tage lang gespei­chert und müs­sen dann gelöscht wer­den. Man­che Anbie­ter, so z.B. auch Net­co­lo­gne, löschen diese Daten sogar noch vor Ablauf der Sieben-Tages-Frist.

Außer­dem gibt es das Fern­mel­de­ge­heim­nis, Ver­schwie­gen­heits­pflicht bestimm­ter Berufs­grup­pen und das Grund­recht auf Unver­letz­lich­keit der Woh­nung (Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Art 13: „(1) Die Woh­nung ist unverletzlich.“)
Außer­dem wäre da noch das Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung. Das Bun­des­mi­nis­te­rium des Inne­ren schreibt dazu:
„Um den Schutz der Pri­vat­sphäre – gerade vor dem Hin­ter­grund moder­ner Daten­ver­ar­bei­tung – zu stär­ken, hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in einer Ent­schei­dung aus dem Jahr 1983 das „Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung“ ent­wi­ckelt (sog. „Volks­zäh­lungs­ur­teil“, BVerfGE 65,1 [41]). Es ver­leiht dem Ein­zel­nen die Befug­nis, grund­sätz­lich selbst zu bestim­men, wann und in wel­chem Umfang er per­sön­li­che Lebens­sach­ver­halte preis­ge­ben möchte. Das Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung ist Bestand­teil des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts, das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes geschützt wird. Es genießt daher Ver­fas­sungs­rang und ist wesent­li­che Aus­prä­gung der Men­schen­würde und der all­ge­mei­nen Handlungsfreiheit.“

Da fragt sich doch am Ende der gemeine Durch­schnitts­bür­ger, warum in aller Welt jetzt das Thema Vor­rats­da­ten­spei­che­rung über­haupt erneut auf den Tisch kommt. Zumal, was wür­den Unmen­gen von Daten, die keine Behörde jemals würde sich­ten und nut­zen kön­nen, über­haupt brin­gen? Rich­tig. Gar nichts. Siehe Paris. Der Auf­wand stünde folg­lich in kei­ner Rela­tion zum Nutzen.

Und denen, die das Ter­ro­ris­ten-Argu­ment wie­der her­vor­ho­len, seien nicht nur Char­lie Hebdo und das Max-Planck-Insti­tut ans Herz gelegt, son­dern sie könn­ten auch den fol­gen­den Gedan­ken­gän­gen ein paar Minu­ten Ihrer Zeit schenken:
Ist es nicht gerade die vor den Ter­ro­ris­ten zu ver­tei­di­gende Frei­heit, die auf der ande­ren Seite durch die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung vom Pferd fällt?
Wird nicht die Frei­heit gerade von denen zu Grabe getra­gen, die sie vor­geb­lich eigent­lich ver­tei­di­gen wollen?

Die Vor­räte mei­ner Oma übri­gens, die gibt es noch immer. Unan­ge­tas­tet. Der Krieg kam näm­lich nicht und auch nicht die schlech­ten Zei­ten. Oma ist jetzt 92 und in Ihrem Schlaf­zim­mer lagern seit den 50er-Jah­ren des vori­gen Jahr­tau­sends Unmen­gen von unge­nutz­ten Hand­tü­chern und Bett­wä­sche, die Ihrer Ver­wen­dung har­ren. Hat mei­ner Oma die Bevor­ra­tung jetzt über­haupt was gebracht? Nein. Eigent­lich nicht.

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